1950 startet Alfa Romeo die 1900 Baureihe und schlägt damit ein neues Kapitel in der langen Geschichte von Alfa Romeo auf. Mit neuen Produktionsanlagen, welche eine Serienfertigung ermöglichen, können erstmalig nennenswerte Stückzahlen produziert werden. Die Entwicklungsgeschichte soll hier dargestellt werden.


Entspannt zeigen sich Giuseppe Busso (Technikentwickung) und Ivo Colucci (verantwortlich für die Karosserieentwicklung) bei einem Stopp an der ligurischen Küste im März 1950 während einer ersten Probefahrt mit dem neuen Hoffnungsträger von Alfa Romeo. In wenigen Monaten wurde das neue Projekt 1900 unter der Gesamtleitung von Orazio Satta Puliga entwickelt, denn erst Ende 1948 kam die Zustimmung der Geschäftsleitung zur Entwicklung der neuen Motoren, parallel als 4-und 6-Zylinder. Die neuen Motoren waren bestimmt für das Nachfolgemodell der erfolgreichen 6C 2500 Modelle, welche aber nach dem Krieg nur wenige Käufer fanden, da sie zu aufwendig und damit zu teuer in der handwerklichen Fertigungstechnik für das Europa nach dem zweiten Weltkrieg waren. Die neue Familienlimousine sollte deutlich preisgünstiger zu fertigen sein und sollte dies mit dem Aufbau einer modernen Serienfertigung erreichen, wobei man sich von den amerikanischen Kollegen nicht nur beraten ließ, sondern sogar den Aufbau der neuen Produktionslinie den Fachleuten aus Amerika übertrug.

Der Testfahrt an der Riviera war der erste Probelauf des neuen Motors bereits am 14. Januar des Jahres vorausgegangen, anfänglich noch mit Aluminiumblock. Dieser wurde aber auf Grund technischer Schwierigkeiten schnell verworfen, denn die Zeit drängte, und es wurde als Ersatz der bewährte Grauguss als Blockmaterial gewählt. Beibehalten wurde jedoch der Zylinderkopf aus Leichtmetall mit den beiden obenliegenden Nockenwellen. Zu diesem Zeitpunkt war der viertürige Wagen bereits fertig und wartete auf die Adaption des Motors.

Mai 1950 wurde das neue Auto auf dem Turiner Autosalon vorgestellt, allerdings noch nicht in der endgültigen Serienversion. Diese wurde erst am 2. Oktober des gleichen Jahres einem kleinen exklusiven Personenkreis in Paris präsentiert und das Entwicklungsteam um Ing. Puliga feierte die Premiere am 11. Oktober in Paris. Die ersten sechs 1900 Berlina wurden noch 1950 hergestellt, aber bereits im nächsten Jahr lief die Serienproduktion mit 1220 Einheiten an.


Und so sollte von Alfa Romeo in nur wenig mehr als 2 Jahren eine vollkommen neue Sportlimousine entwickelt werden, rekordverdächtig? Traditionsgemäß stellte sich das neue Modell auch der Herausforderung in den verschiedensten Rennen und verdiente sich bald den Titel ” The family car that wins races“, womit gemeint ist, dass während der Woche die Familie das Auto nutzt und am Wochenende der Papa mit dem gleichen Auto Rennen gewinnt. Bei der für die damalige Zeit überlegenen Technik, 90 PS bei 1884cm³, ca. 1000 kg, Höchstgeschwindigkeit etwa 160 bis 170 km/h, war es kein Wunder, dass die Konkurrenten das Nachsehen hatten. Zum Vergleich: Der Porsche 356 lief 140 km/h, auch der Porsche 1500 Super kam nur auf 175 Km/h, der 1900 TI erreichte dagegen schon 180 km/h. Diese erste Ausführung der 1900er Limousine sollte bis zur Produktionseinstellung 1959 weitgehend unverändert gebaut werden. Allerdings wurde im Laufe der Jahre die maximale Leistung bis auf 115 PS in der 1900 TI Super angehoben.

Der Erfolg dieser Sportlimousine ließ sehr bald die Karosserieschneider bei Alfa Romeo anklopfen, denn sie wollten ebenfalls am Erfolg teilhaben. Das Geschäftsmodell dieser großen und kleinen Werkstätten bestand bisher darin, auf einen vom Fahrzeughersteller hergestellten Rahmen eine Karosserie zu schneidern, nach eigenen Entwürfen oder auch nach Vorstellungen der solventen Kunden.

Dieses Geschäft sah man nun in Gefahr, da ja Alfa Romeo mit dem Angebot eines kompletten Fahrzeuges den Carrozziere die Geschäftsgrundlage entzog. Also besannen sich die Verantwortlichen auf die Tradition des Hauses und entwickelten eine spezielle Plattform (1900C, siehe untenstehende Zeichnung) auf der Basis der Limousine, jedoch auf 2.500mm Radstand verkürzt. Dieser Rahmen wurde als praktisch fahrfertige Einheit geliefert, es fehlte “lediglich” die Außenhaut und die Innenausstattung. Mit diesem Angebot entwickelten die Designer und Karosseriehersteller ein wahres Feuerwerk an Fahrzeugmodellen, angefangen von verschiedenen Cabriolets bis hin zu repräsentativen Großraumlimousinen. Im Laufe der Jahre waren dies, auf einer einzigen Plattform, etwa 70 verschiedene Modelle, gebaut von 17 verschiedenen Herstellern.


Dies war und ist weltweit einmalig.

Einige Carrozziere sollten sich mit ihren Entwürfen hier einen besonderen Namen machen, sowohl auf Grund der hergestellten Stückzahlen, als auch aufgrund der Tatsache, dass ihre Modelle über das offizielle Programm von Alfa Romeo angeboten wurden. Besonders die Carrozzeria Touring brachte es auf größere Stückzahlen, obwohl nacheinander bis 1958 vier verschiedene Ausführungen angeboten wurden.

Insgesamt 1790 Coupés wurden bei der Manufaktur in aufwendiger Handarbeit hergestellt, wobei die patentierte Super Leggera Konstruktion und die Aluminiumaußenhaut für ein niedriges Gewicht sorgten. Das Super Leggera Patent bezeichnet einen dünnen, tragenden Stahlrohrrahmen, der mit einer Aluminiumhaut bedeckt ist, welche durch Umbördeln oder Nieten befestigt wird. Der tragende Rohrrahmen wird bei dieser Konstruktion auf der von Alfa Romeo gelieferten Plattform geschweißt. Bis heute sind diese Touring Coupés sehr gesuchte Exemplare der 1900 Baureihe. Die ersten Versionen wurden noch mit 1884cm³ geliefert, die Supersprint Versionen jetzt mit geändertem Frontgrill, vergrößerten Scheiben und einen auf 2 Liter mit 115 PS vergrößertem Motor. Das vierte und letzte Modell, ebenso Supersprint genannt, ähnelt schon der Giulietta Sprint und ist das Modell, welches noch am häufigsten bei den Alfisti zu finden ist. Verständlich, da gesamt 599 der letzten Variante hergestellt wurden. Die Carrozzeria Pinin Farina genießt bei den Autoliebhabern in der Welt einen besonderen Ruf, als Ferrari-Haus Designer aber auch als Schöpfer schöner Karosserien für Alfa Romeo-Fahrzeuge. So zeigen sich auch die zwei Kreationen auf der 1900er Basis. Besonders das Coupé wird als einer der schönsten 1900er Entwürfe besonders geschätzt. Lediglich exakt 100 dieser zeitlosen Coupés wurden gebaut, wogegen das Cabriolet nur 88 mal produziert wurde. Für heutige Verhältnisse mögen diese Stückzahlen klein erscheinen. Berücksichtigt man indessen, dass ein Mercedes 300 SL oder ein BMW 507 in etwa zum gleichen Preis angeboten wurde, relativieren sich diese Zahlen wieder. Der damalige Preis entspricht einer heutigen Kaufkraft von ca. 340.000 Euro. Wie begehrt diese Preziosen sind, zeigt sich darin, dass vom Pinin Farina Sprint Coupé z.B. ca. 34 Modelle überlebt haben. Vom Cabriolet werden noch ca. 22 Autos als existent aufgeführt.


In dieser exklusiven Runde dürfen natürlich die Zweisitzer der ebenfalls schon lange mit Alfa Romeo verbundenen Carrozzeria Zagato nicht fehlen. Lediglich 39 dieser leichten Sportwagen auf der 1900er Plattform wurden gebaut, dazu 2 Cabriolets. Die Zweisitzer waren für den sportlichen Einsatz konzipiert. Die Coupés von Touring und Pinin Farina eher für den sportlichen Herrenfahrer, auch mal mit Kindern. Die Zagato knüpften dann auch an die sportlichen Erfolge der Touring Coupés an. Obwohl mit identischer Technik, konnten mit einem tieferem Schwerpunkt und weniger Gewicht der Konkurrenz die Auspuffrohre gezeigt werden. Von 1954 – 1957 gebaut, haben noch ca. 30 Autos überlebt. Leider werden gerade diese seltenen Boliden gerne nachgebaut, weil die Preise inzwischen in 7-stellige Höhen abgewandert sind. Diese Modelle der drei Carrozziere produzierten den Großteil der 1900C Stückzahlen, jedoch es sind nur drei der 17 mehr oder weniger großen Werkstätten, die sich mit dem Aufbau eines 1900er ihrer Vorstellungen beschäftigt haben. Erwähnt seien an dieser Stelle noch die 1900er Modelle der Firma Ghia, welche auch über den „One off“ Status hinausgekommen sind.

Bei dieser Zusammenfassung darf auch der 1900 Jeep, genannt Matta, nicht fehlen, der auch noch häufig zu finden ist und damit einen gro0en Interessentenkreis besitzt. Auch der Name Batmobil wird oft im Zusammenhang mit der 1900 Modellfamilie genannt. Gemeint sind 3 Experimentalfahrzeuge der Firma Bertone, welche auch heute noch für Aufregung sorgen. Mit diesem kurzem Abriß habe ich nur Grundlagen über die interessante Geschichte dieser tollen Baureihe gemacht, die ihrer Zeit weit voraus waren. Und wie ich bereits am Anfang dieser kleinen Modellübersicht schrieb, hat es meines Wissens nie wieder ein Modell gegeben, welches in so zahlreichen Versionen von so vielen Carrozziere gebaut wurden. Leider sind einige dieser Fahrzeuge nicht mehr vorhanden, bzw. verschollen. Es gibt aber wenigstens noch Bilder, mit denen die Kreavität der vornehmlich italienischen, aber auch Schweizer Carrozziere nachvollzogen werden kann. Mehr dazu können Sie im Kompendium “Millenove” finden, welches im Clubshop erhältlich ist. In Kürze werde ich hier eine Liste der in Deutschland noch existierenden 1900 Modelle vorstellen. Für weitere Informationen bin ich unter der Mobilnummer 0152 338 161 49 erreichbar.

Ansprechpartner: H. Jürgen Döhren



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